Wednesday, February 13, 2013

Der Untergang der Piraten, oder warum man mit Twitter keine Partei führen kann

Die aktuellen Streitigkeiten an der Spitze der unglücklichen deutschen Piratenpartei lenken den Blick von einem viel tiefergehenden Problem ab: eine politische Organisation kann in einer Mediendemokratie nicht bestehen, wenn sie ihre innersten Entscheidungs- und Diskussionsprozesse in aller Öffentlichkeit verhandelt. Das kann schon deshalb nicht klappen, weil diese Öffentlichkeit zu einem großen Teil nicht dieselben Interessen und Wahrnehmungen wie die Organisation hat.


Streit und Auseinandersetzungen kommen nicht nur gelegentlich vor, sie sind dringend nötig, wenn die Willensbildung nicht strikt von oben nach unten erfolgen soll. Sie sind die Denkprozesse der Organisation, durchaus vergleichbar mit den harten Auseinandersetzungen, die bei der Lebensplanung im eigenen Gehirn stattfinden. Daneben muss die Organisation aber auch nach außen hin kommunizieren, und politisches Agieren besteht zum allergrößten Teil genau daraus.

Die Empfänger sind dabei zugleich die Interpretatoren und Weitervermittler der Information, und sie haben dabei in der Regel nicht dieselben Ziele wie die Organisation selbst. Im unschuldigen Falle wollen sie bloß unterhalten werden, aber oft haben sie auch eigene Ziele, die sie durch ihre Informationsinterpretation unterstützen wollen. Die Politikredaktion von Zeit, Welt, Taz und Spiegel Online sehen sich nicht als neutrale Reflektoren der Wirklichkeit oder gar Kämpfer für das Piratige, sondern sind selbst politische Akteure. Und selbst da, wo sie lediglich ökonomische Interessen haben (also z.B. Leser unterhalten wollen) stören politische Inhalte eher, wenn man stattdessen persönliche Streitigkeiten, erotische Neigungen, individuelle Lebensentwürfe, Krankheiten und Unfälle, oder einfach nur die individuelle Attraktivität thematisieren kann.

Öffentliche Kommunikation muss also immer strategisch sein. Das ist nicht gerade eine neue Erkenntnis, sondern die Grundlage der modernen Demokratien (und Diktaturen; man lese mal bei Edward Bernays nach). Das heißt aber nicht, dass sie unauthentisch sein muss! Ich glaube, der anfängliche Erfolg der Piratenpartei geht nicht auf ihre präsentierten Inhalte, sondern darauf zurück, dass ihre Authentizität glaubwürdig war. Die Wahrnehmung dieser erfrischenden Unmittelbarkeit wurde aber allmählich in Unprofessionalität umgedeutet, und diese Unprofessionalität bestimmt derzeit das dominante Narrativ. Damit Authentizität sich nicht verbraucht, muss sie ebenfalls strategisch eingesetzt werden:
  • Nicht von jedem. Nicht jeder und jedem ist es gegeben, in Konfliktfragen für ein breites Publikum anmutig zu erscheinen. Es muss klare Verantwortlichkeiten geben, wer kommuniziert.
  • Nicht alles. Nicht jede Diskussion ist für die breite Öffentlichkeit ebenso relevant wie ihr Ergebnis. Wenn man Pech hat, steht zum Schluss der Konflikt im Vordergrund, und nicht die errungene Position.
  • Nicht mit jedem. Viele Diskussionspartner außer- und oft auch innerhalb der Partei sind tatsächlich politische Gegner, und gar nicht an einem konstruktiven Austausch interessiert. Sie verfolgen mit der Kommunikation eigene Ziele, wobei ihnen die eigentlichen Ziele der Organisation gleichgültig oder im Weg sind. (Dazu gehören wohl auch die Kämpfe des Genderzentralrats, der sich ja leider nicht nur gegen die Schmeißfliegen, sondern auch gegen moderate Feministen und damit letztlich die Mehrheit der Mitglieder richtet.)
  • Nicht überall. Twitter und Facebook sind für private Konfliktaustragung ungeeignet. Wer eine exponierte Rolle hat, muss private und öffentliche Kommunikations-Kanäle normalerweise trennen. Alle Funktionsträger gelten für die Öffentlichkeit als repräsentativ für die Organisation.
  • Nicht jederzeit. Oft ist es besser, abzuwarten, und dosiert zu reagieren.
So kann man natürlich keine effektive Wissensbildung betreiben. Deshalb müssen strategische Führung (und ja, selbstverständlich brauchen die Piraten Vordenker und Strategen, nennt sie Räte, AKs oder AGs) und Repräsentation getrennt werden. Es ist gefährlich, wenn die klügsten Köpfe und besten Integrationstechniker jederzeit wegen einem ungeschickten Nazivergleich, einem zur Unzeit gegebenen Interview oder einem fehlerhaft geplanten Konferenzbudget vom Rücktritt bedroht sind. Es ist umgekehrt gefährlich, wenn die begnadetsten Kommunikatoren und preiswürdigsten Rampensäue den inhaltlich Arbeitenden bis runter zur Basis das Heft des Handelns aus der Hand reißen. 

Wenn die Piraten es schaffen, Öffentlichkeitsarbeit und Denken auf verschiedenen Kanälen stattfinden zu lassen, dann wird ihnen vielleicht auch auffallen, dass sie die CDU- und FDP-nahen Postenjäger ebensowenig an ihrer Spitze dulden können wie apolitische Egomanen. Im Moment haben sie dazu gar keine Aufmerksamkeit mehr übrig.

tl;dr: Die Piraten müssen die Hoheit über ihre Außendarstellung zurückerobern. Dazu müssen sie vor allem die Klappe halten, und Kommunikationsaufgaben von Strategieplanung trennen.

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